Historisch

Die Borstei

Die Borstei wurde in den Jahren 1924 bis 1929 von Bernhard Borst erbaut. Es ist naheliegend, dass die „neuerstandene Wohnanlage des Mittelstands“ diesen Namen trägt. Tatsächlich wurde der einprägsame Begriff durch ein Preisausschreiben ermittelt, erster Preis waren 500,– Reichsmark. Insgesamt gab es über 2.600 Vorschläge aus denen eine Jury schließlich den heute über die Grenzen Münchens hinaus bekannten Namen auswählte.

Entstehung

Am 22.12.1922 erhielt der Bauunternehmer Bernhard Borst ein Kündigungsschreiben der Stadt München für seinen Lagerplatz in der Thalkirchner Straße . Er sollte das Grundstück bis zum 1.2.1923 räumen. Zufällig stand in der Zeitung dieses Tages eine Annonce für ein Grundstück (26 Tagwerk groß) an einer Ausfallstraße von München mit evtl. Gleisanschluss. Bernhard Borst setzte sich sofort mit dem Makler in Verbindung und erstand dieses Grundstück binnen einer Woche für 18 Millionen Reichsmark.

Er initiierte einen Wettbewerb zur Bebauung mit Wohnungen und einem Bauhof. 60 Architekten folgten der Einladung, die Jury zeichnete zwei zweite Plätze aus, die beide nicht die Wünsche des Auftraggebers erfüllten. Bernhard Borst begann daraufhin selber mit den Planungen und bekam von der Stadt, mit finanzieller Unterstützung des „Ordentlichen Bauprogramms“, 1924 die Erlaubnis für den Bau der ersten Häuser mit 33 Wohnungen an der Dachauer Straße – Ecke Pickelstraße. Er ging dabei von einer am Rand des Grundstücks verlaufenden Wohnbebauung und einem innen liegenden Bauhof und Lagerplatz aus. 1925 folgten dann weitere Wohnhäuser entlang der Pickel- und Dachauer Straße. Im Jahr 1926 kam er zu dem Entschluss, das ganze Gelände mit Wohnhäusern zu bebauen und diese, anders als in bekannten Arbeitersiedlungen, „um den Garten herum zu bauen. 1927 musste Bernhard Borst auf Anordnung der Stadt einen BDA-Architekten bei seinen Planungen hinzuziehen. Er wählte mit Oswald Bieber einen sehr erfahrenen und renommierten Kollegen, der u.a. das Verwaltungsgebäude der Münchner Rückversicherung am Englischen Garten und das Parkcafé entworfen hat. Oswald Bieber ließ Bernhard Borst freie Hand, ergänzte aber die Entwürfe um weitere Dekorelemente. 1929 wurden die letzten Häuser fertig gestellt.

Philosophie

„Der Grundgedanke für die Borstei war die Entlastung der Hausfrau.“, Bernhard Borst, Mai 1929 So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Borstei den Müttern gewidmet ist. Zentralheizung, Wäscheservice, Staubsauger- und Dienstbotenverleih, Einkaufsservice, Telefonzentrale, geheizte Garagen mit Waschgelegenheit, Einstellräume für Kinderwagen und Fahrräder, ausgestattete Bäder (incl. Bidet) und Küchen, um nur einige der Vorzüge zu nennen, die zu dieser Zeit nicht alltäglich waren. Bernhard Borst hatte ein Ziel: „Ich erkannte die Nachteile des Einfamilienhauses, wusste aber auch um die Trostlosigkeit der Mietskasernen in der Stadt. So suchte ich die Wohnfrage zu lösen: Das Schöne des Einfamilienhauses mit dem Praktischen einer Etagenwohnung zu verbinden. Dabei wollte ich alles auf die Entlastung der Hausfrau und auf die Gesundheit der Menschen abstimmen.“ Bei der Wahl der Baumaterialien ging er deshalb keine Kompromisse ein. Nur das Beste war gut genug. Durch seine eigene Ziegelei bei Freising und das Sägewerk in Thalkirchen legte er den Grundstein für die wertige, solide und natürliche Bauweise. Slowenische Eiche, Marmor aus Ruhpolding, Treuchtlingen und Solnhofen, Kehlheimer Kalkstein, Kupferbleche für Gauben und Dachrinnen, Messingknäufe, Korkdämmung, Ziegeldächer, selbstgelöschter Sumpfkalk, Rauhputz und Leimfarbe. Dieser Tradition sind die Handwerker bei anfallenden Renovierungsarbeiten immer noch verpflichtet. Einerseits war Bernhard Borst der traditionellen Baukunst verpflichtet, andererseits fand er auch Raum für visionäre Ideen und deren Umsetzung. So verdanken wir ihm Deutschlands erstes zentrales Heizkraftwerk, das bis 1993 durch einen eigenen 60 Meter tiefen Brunnen mit „weicherem“ Wasser gespeist wurde und mittels eines Generators Strom für alle betrieblichen Einrichtungen erzeugt hat; eine Großwäscherei, die den Bewohnern ihre Wäsche schrankfertig innerhalb 24 Stunden wusch und lieferte; eine autarke Versorgung der Bewohner durch 15 Läden und ein Café, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Durch die viele Zeit, die den Bewohnern der Borstei mit diesen Dienstleistungen geschenkt wurde, hatten sie Gelegenheit, sich in den Höfen zu treffen, was auch gewünscht war. Das soziale Miteinander, das teilweise dörflichen Charakter hat, ist auch heute noch ein Gewinn. Etliche Feste und gemeinsame Veranstaltungen, die Bernhard Borst ins Leben gerufen hat, finden auch heute noch statt.